Prof. David Bresch hält einen ETH-Doktortitel in Physik und ist nach kurzer Zeit am MIT zur Swiss Re gewechselt. Er war neben der Arbeit an Nachhaltigkeitsstudien beteiligt und hat open-source Software zur Risikoanalyse entwickelt. Heute gibt er als Professor für Wetter- und Klimarisiken an der ETH in der Vorlesung „Climate Change: Uncertainty and Risk“ gemeinsam mit Reto Knutti Expertise an die Studierenden weiter. Den Dialog zu suchen ist für ihn der Schlüssel zu einer nachhaltigeren Welt.
Inwiefern hilft dir dein Physikstudium heute oder auf dem Weg, den du eingeschlagen hast?
Wenn man es in zwei Worten sagen müsste, wäre es „analytisches Denken“. Wenn man ein bisschen ausholen will, wäre es die Fähigkeit die Perspektive wechseln zu können oder die Systemgrenzen etwas weiter zu denken; sieht ein Problem lösbarer aus, wenn man es etwas grösser fasst? Ist Reduktionismus doch nicht der Weg zur Lösung? Was vielleicht beim Physikstudium gefehlt hat, ist das Einüben von Sozialkompetenz, aber das kann man auch nachholen; man muss nicht alles gleichzeitig lernen.
Du warst vor deiner Professur 16 Jahre bei der Swiss Re. Wie hast du dich damals entschieden, diesen Weg einzuschlagen?
Ich war davor als Research Associate am MIT, wo ich begonnen hatte, mich für Science and Policy of Climate Change zu interessieren. Dort wurde mir bewusst: Wir wissen eigentlich sehr viel und handeln nicht demgemäß. Dann macht man die kleine Analyse: Wer sind die grossen Akteure? Es sind die politischen Institutionen und die Wirtschaft. Wer von den letzteren bewegt das grosse Kapital? Da gibt es zwei Möglichkeiten: Die, die das Kapital verwalten – also eher die Anlageseite – oder jene, die das Kapital einsetzen, um Risiken zu decken – die Rückversicherungen. Ich habe mich für letztere entschieden.
Was würdest du heute anders machen? Was hättest du gerne früher gewusst?
Das ist in meinem Fall wirklich nicht leicht zu beantworten, weil ich überhaupt nicht so funktioniere. Ich korrigiere überhaupt nicht im Rückspiegel. Ich lebe sehr stark vorwärts. Man kann sich für Fehler entschuldigen – was nicht heisst, dass man nicht aus ihnen lernen soll.
Du hast vor dem Interview gesagt, dass in Sachen Klimawandelbekämpfung nicht genug getan wurde. Fandest du deinen Job jemals belastend; wenn z.B. nicht auf deine Studien reagiert wurde?
Nein. Da muss man auch genügend Realist sein und versuchen zu verstehen, wo die anderen Menschen herkommen. Wenn beispielsweise ein Unternehmen ein Produkt herstellt, dann möchte es das Produkt verkaufen, freut sich, wenn der Kunde sich freut und glaubt, damit sei der Job getan. Mit der Zeit kommen mehrere Bedingungen dazu: Jetzt muss „plötzlich“ der Ressourcenverbrauch gesenkt und die Effizienz gesteigert werden. Diesen Zusatzanforderungen auch noch Rechnung zu tragen ist oft eine Herausforderung. Ich glaube, wenn man es so angeht, dann ist man durchaus erstaunt, wie schnell Dinge dann doch gehen können. Ja, natürlich verlieren wir viel zu viel Zeit, aber das ist glaube ich die Tragik der menschlichen Existenz, welche nur sehr schwer im Kollektiv lernt und einen kritischen Zustand häufig nicht als einen zwingend zu überwindenden ansieht.
Was würdest du sagen, war dein grösster Beitrag zu einer nachhaltigeren Welt?
Wahrscheinlich, so abstrakt das klingt: Den Dialog zu suchen. Sich mit Kollegen aus der Rückversicherungsbranche den Mund fusselig zu reden um die Relevanz und Dringlichkeit des Klimawandels aufzuzeigen war wohl effektiver als am MIT zum wissenschaftlichen Diskurs mein kleines Scherflein beizutragen. Einmal die Perspektive zu wechseln, was sehr viel Energie kostet, lässt einen das Wertesystem des anderen verstehen. Die meisten Menschen haben ein konsistentes Narrativ und handeln nicht aus bösem Willen, sondern weil sie in ihrem Weltbild Dinge anders gewichten. Am Ende einer Diskussion kommen dann Ausreden wie „die anderen machen es ja auch nicht“, aber dann ist der-/diejenige ja schon fast über den Berg.
Dialog suchen war demnach auch bei der Swiss Re am effektivsten?
Lustigerweise wurde mir oft vorgeworfen, ich würde nicht genug mit den internen Stellen reden. Die Firma war aber eigentlich schon auf Kurs. Es ging mehr darum, als Firma andere zu bewegen und herauszufinden, wen man davon überzeugen muss, dass das Problem auch sie betrifft. Wie bewegt man beispielsweise die Bank of England? Die nachwirkende Rede von Mark Carney [ehemaliger Gouverneur der Bank of England, September 2015] ist aus einer Diskussion darüber entstanden, wie wir Gruppen, Strukturen und Institutionen in den Dialog miteinbeziehen. Das war wahrscheinlich mit Abstand der grösste Hebel, da diese Rede eine nachhaltig andauernde Bewegung in Richtung Klimakompatibilität in der Finanzwirtschaft ausgelöst hat.
Global gesehen: wie viele Firmen und Institutionen schätzt du auf dem richtigen Weg?
Es bewegt sich viel, aber viel zu langsam, weil ein Risiko tragischerweise – wie bei den vergangenen Flutkatastrophen in Deutschland – für viele erst als real wahrgenommen wird, wenn es sich vor der Haustüre manifestiert. Klimasimulationen alleine funktionieren nur bei einem kleinen Teil der Gesellschaft als überzeugendes Argument, denke ich. Ob eine Firma auf dem richtigen Weg ist, ist nicht immer sofort zu erkennen. Firmen wollen ihrem Markenversprechen gerecht werden und fürchten sich davor, dieses zu überdehnen. Einige Grossbanken sind intern deutlich weiter als sie nach außen kommunizieren. Allerdings wissen auch viele Akteure trotz ihren Zusagen noch nicht, wie sie bis 2050 netto-null konkret erreichen – doch legen sie damit die Richtung und einen Zielwert fest. Inzwischen hat aber ein Umdenken stattgefunden, weil die Gesellschaft von Firmen einen Beitrag über den engsten Geschäftszweck hinaus erwartet. Vor fünf Jahren sind Firmen oft für Ansagen bezüglich nachhaltigen Verhaltens belächelt worden – da sehen wir Fortschritte.
Und da siehst du viel Platz für Physik-AbsolventInnen?
Ich glaube, der Studiengang spielt nicht die Hauptrolle. Relevanter ist eher die Schärfe des Verstandes und ein Verständnis für Andersdenkende. Physik kann helfen, weil das Studium einem die analytischen Tools gibt, um mit komplexen Systemen umzugehen. Das viel Wichtigere ist, glaube ich, die Persönlichkeitsentwicklung. Viele reifen während der Studienzeit und trauen sich vermehrt zu, schwierige Probleme zu lösen. Man denke mal an die scheinbar unlösbaren Übungsblätter, bei denen man erst Sonntagabends eine gute Idee hat! Solch harte Anforderungen formen einen, sodass man – immer mehr auch im Dialog mit anderen – komplexe Probleme angeht, statt den Kopf in den Sand zu stecken.
Wir haben vor dem Interview auch kurz über Versicherbarkeit gesprochen. Denkst du, mit einem grünen Portfolio lassen sich auch bei voranschreitendem Klimawandel Extremereignisse wie die Hochwasser in Deutschland versichern?
In Zukunft wird nachhaltiges Investieren sogar einfacher, weil viel ein zunehmender Teil der wirtschaftlichen Aktivität auf Netto-Null ausgerichtet sein wird. Angenommen, man investiert heute in einen herkömmlichen Autohersteller, dann investiert man noch nicht so sehr in die Dekarbonisierung. Wenn dieser aber bis 2035 keine Benziner und nur noch klimakompatible Fahrzeuge herstellt, ist das bis dahin eine Investitionsmöglichkeit, aus der man als Versicherer auch Schäden bezahlen kann. Die Versicherbarkeit leidet nicht am fehlenden Kapital. Treten Risiken zu häufig auf und werden deterministisch, steigt die Prämie. Mal angenommen, eine Überschwemmung tritt an einem Ort alle drei Jahre auf, dann liegt die Versicherungsprämie eines Hauses bei mehr als einem Drittel des Wiederherstellungswertes, was praktisch niemand bezahlen will oder kann. Wenn sich zudem lokal mehrere Risiken wie Dürren, Fluten und Buschbrände überlappen, wird dort die Diversifikation im Portfolio unmöglich. Die Tragbarkeit der Prämie für den Versicherten wird die Grenze der Versicherbarkeit sein, nicht die Finanzierbarkeit von Schäden.
Wenn ich in Windräder in der Nordsee investiere, ist das eine grüne Geldanlage, jedoch könnten diese anfällig für Sturmschäden sein. Ist das Investitionsrisiko bei erneuerbaren Energien höher, als bei fossilen Investments?
Teilweise, da muss man jeden Fall einzeln anschauen. Ich würde einmal davon ausgehen, dass grundsätzlich ein Portfolio aus erneuerbaren Energien zukunftsfähiger ist als eines aus Kohle- und Gaskraftwerken. Das Policy-Risk bei letzterem ist viel grösser: Wenn Kohlestrom verboten wird, verliert die Anlage an Wert. Technologierisiken gibt es bei allen Investitionen.
Bei der Swiss Re hast du ein papierloses Büro geführt. Wie funktioniert das? Ist das in deinem Umfeld auf andere übergeschwappt?
Die Motivation dafür war reine Bequemlichkeit, keinen Ordner suchen oder tragen zu müssen. Es war zwar anfangs dadurch schwieriger, die Grösse des Büros zu rechtfertigen, aber das ist mittlerweile auch anders. Übergeschwappt hat das nicht, ich bin nicht zum Propheten geeignet und die anderen dürfen ihre Laufmeter an Regalen behalten.
Du warst an vielen Klima-Anpassungsstudien in Übersee beteiligt, wo man um einen Langstreckenflug kaum herumkommt. Siehst du eine Alternative zum Fliegen?
Ich war nicht allzu oft vor Ort. Oft war meine Präsenz auch nicht nötig, denn es braucht starke lokale Partner. Die sind viel glaubwürdiger. Wir müssen diese so unterstützen und weiterbilden, dass wir den von uns vorgestellten Qualitätsstandard auch mit den Partnern vor Ort hinbekommen. Ab und zu ergibt es Sinn hinzufliegen – gerade für den Dialog; man muss gemeinsam Essen und Zeit verbringen. Viel wurde aber auch damals schon via Videokonferenzen erledigt – nicht zuletzt aus Zeitgründen.
Danke an Till Muser für seine Unterstützung.
Interview von Jan Zibell, 2021
About the Author
Jan Zibell beendet derzeit seinen Master in Physik an der ETH. Er interessiert sich für die physikalische Modellierung des Klimas, aber auch auf dessen Auswirkungen auf die Gesellschaft. Jan hat sich ausserdem für eine verstärktes Angebot an Nachhaltigkeitsthemen in der Lehre am D-PHYS eingesetzt.